„Kinder brauchen Märchen“ dieser berühmte Buchtitel und die Thesen des US-amerikanischen Kinderpsychologen von 1976 gelten heute immer noch als aktuell.
Grund genug, für die Katholische Hauptschule Grevenbroich gemeinsam mit KultCrossing das Tanztheater-Projekt „Es war einmal…Märchenhafte Verwandlung“ mit der Künstlerin Elisabeth Clark-Hasters ins Leben zu rufen. Über einen Zeitraum von Herbst 2010 bis zum Sommer 2011 erarbeitete sie mit SchülerInnen Tanzsequenzen zum Thema, die am 07.07. in der Hauptschule vorgestellt wurden.
Entstehung des Projekts:
Die spannende Thematik der Märchen und die Tatsache, dass die Schule bereits seit mehreren Jahren mit KultCrossing gemeinnützige GmbH zusammenarbeitet, hat die Verantwortlichen der Schule nach dem erfolgreichen Tanztheaterprojekt zum Thema „Rechtsextremismus“ davon überzeugt, wieder ein Tanztheaterprojekt durchzuführen, diesmal zum Thema Märchen.
Vor dem Projekt stand zunächst die Auswahlentscheidung der Initiative „Kultur und Schule“ durch das Land NRW. Die Auswahl des Projektes wurde der Schule vor den Ferien 2010 bestätigt. So konnte man über KultCrossing erneut die Schauspielerin, Tänzerin und Choreografin Elisabeth Clarke-Hasters gewinnen.
Die Katholische Hauptschule Grevenbroich pflegt seit 25 Jahren einen regelmäßigen Kontakt zur Werkstatt für Behinderte in Hemmerden, meist im Rahmen sportlicher Aktivitäten. So entstand die Idee, dieses Tanztheater mit behinderten Mitarbeitern der WFB durchzuführen. KultCrossing und Frau Clarke-Hasters waren schnell dafür zu begeistern, ebenso wie die WFB und die beteiligten SchülerInnen.
Trotz aller Integrationsbemühungen werden gerade schwerstbehinderte Menschen zwar gut betreut, nehmen aber am gesellschaftlichen Leben nur sehr begrenzt teil.
In dem Projekt wurde diese Gegebenheit ins Gegenteil gekehrt. Nach kurzer Eingewöhnungszeit beim ersten Treffen waren die bei den AkteurInnen vorhandenen Hemmungen und Unsicherheiten beseitigt. Ausschlaggebend dafür war die Offenheit und Lebensfreude der behinderten Mitspieler der WFB, die kompromisslos die SchülerInnen mitzogen und ihnen mit ihrer liebevoll, bemühten und offenherzigen Art jegliche Chance des Rückzugs nahmen. Sehr zur Freude aller Beteiligten!
Die Regisseurin:
Elisabeth Clarke-Hasters: Mitglied des Dance Theaters of Harlem, Solistin beim Ballett du XXème Siècle(M.Béjart), Arbeit mit K.H Stockhausen, Mitglied des Tanztheaters „Pina Bausch“, Theaterpädagogin, Choreografin bei den Salzburger Festspielen, Dozentin für Tanz und Schauspiel, Tanzreferentin der KultCrossing gemeinnützige GmbH mit Tanzprojekten an diversen Schulen, Coach u. v. a.
Frau Clarke-Hasters hat bereits häufig mit Schulen zusammengearbeitet und bringt ein großes Verständnis für die AkteurInnen mit, weiß aber auch, Grenzen zu setzen und ihre künstlerischen Vorstellungen den SchülerInnen näher zu bringen und umzusetzen.
Spannend ist ihre entwickelnde Vorgehensweise, die auch den Jugendlichen die Möglichkeit gibt, Vorschläge zu machen, ihre eigene Ideen zu verwirklichen und so den Verlauf des Tanztheaters mit zu gestalten.
Umsetzung:
„Für das Projekt wurden weniger bekannten Märchen ausgesucht. So lassen sich die Rollen frei von medialen Vorbildern annehmen und verkörpern. Die ausgewählte Musik für dieses Projekt ist “Ein Heldenleben” von Richard Strauss. Strauss nannte seine Komposition ein “symphonisches Poem”. Sie folgt der typischen Erzählstruktur eines Märchens; so können die Tanzszenen auch thematisch/musikalisch gegliedert sein. Kurze Einsätze von heutiger Popmusik verdeutlichen das Umsetzen der Rollen (Prinz, Prinzessin, böse Königin, gerechter König, usw.) in der realen Lebenssituation der Jugendlichen.
Die Zusammenarbeit mit Mitarbeitern aus der Behindertenwerkstatt erlaubte außerdem eine Konfrontation im Tanz mit der gängigen Idee von Schönheit und Klugheit, was für die Identitätsfindung im jungen Alter eine große Rolle spielt.
Die ausgesuchte Tanzrichtung dieses Projekts ist modern. Er bietet die Möglichkeit der Abstraktion und dadurch die Befreiung von vorgefertigten Vorbildern aus den Medien.“so Elisabeth Clarke-Hasters
Mit 14 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ging es in der Schule nach den Sommerferien 2010 ans Werk.
Parallel zu den Tanzproben entwickelte und fertigte eine Kunstgruppe unter der Leitung von Frau Küpper in einem Unterrichtsprojekt das Bühnenbild. Die Kostüme stellte die Kollegin aus ihrem Karnevals-Fundus zur Verfügung.
Die gesamte Technik wurde von Schülern der Schule in den Proben und bei der Aufführung professionell bedient.
Ins Leben gerufen, organisiert und begleitet wurde das Projekt von Frau Steinert und Herrn Herzhoff.
Die Geschichte:
Es wird die Geschichte der jüngsten Tochter erzählt, die von ihrem Vater, dem König, verstoßen wurde und seit drei Jahren bei einem alten Mütterchen als Gänsehirtin Trulle Unterschlupf gefunden hat.
Der König wollte das Reich unter seinen drei Töchtern aufteilen, wobei diejenige den größten Teil erhalten sollte, die ihn am meisten liebe. Die jüngste Prinzessin sprach: „Keine Speise schmeckt mir ohne Salz. Deshalb liebe ich den Vater so sehr wie Salz.“, worauf der König so sehr in Zorn geriet, dass er sie von seinen Soldaten fortschicken ließ und niemals wieder sehen wollte. Doch nach einiger Zeit bereute der König sein hartes Vorgehen und geriet in tiefe Trauer.
Ein junger Graf trifft auf das alte Mütterchen bei seiner Reise durch das Land. Sie nötigt ihn, ihre schweren Körbe zu tragen, die seltsamerweise nur für ihn eine schwere Last darstellen. Als „Lohn“ dafür wird er von der Hexe verspottet und wieder in den Wald geschickt. Zuletzt gelangt er in das Schloss, in dem König und Königin um ihr Kind trauern. Der Graf macht ihnen Hoffnung, dass ihr Kind noch lebe. So machen sie sich zusammen auf den Weg, um die Prinzessin zu finden…
Verlauf der Proben:
Am Anfang musste die Idee den Jugendlichen nahe gebracht werden: Märchen für 15 jährige? Ein gewagtes Ansinnen.
Doch die SchauspielerInnen ließen sich von Anfang an auf das Thema ein. Nach und nach bekamen die SchülerInnen immer mehr Freude an den Bewegungen und dem manchmal einfach nur albernen und ausgelassenen Schnattern und Hüpfen der Gänse, die von fast allen gespielt werden mussten. In den einzelnen Proben gab es immer wieder Änderungen, Bewegungen wurden neu überlegt und wieder verworfen.
Den WFB-MitarbeiterInnen wurden Aufgaben zugeteilt, die sie gut und nahezu ohne Sprache erledigen konnten. Da alle sehr musikalisch waren, fiel ihnen das Tanzen sehr leicht und man konnte die Begeisterung und die Ernsthaftigkeit sehen, mit denen sie bei der Sache waren. Die SchülerInnen der Hauptschule mussten lernen, dass ihre behinderten MitspielerInnen nicht immer eine genaue Orientierung hatten oder die an sie gestellten Aufgaben nicht punktgenau verstanden. Im Verlauf der Proben merkten sie schnell, dass man sie an die Hand nehmen musste, um sie zu beteiligen. Nach einigen Wochen hatte jeder seinen privaten „Coach“, der sich auch ohne Aufforderung kümmerte und auch vorausschauend handelte. Die SchülerInnen waren sich dabei für keine Aufgabe zu schade und stellten ihre Person in den entsprechenden Szenen gerne in den Hintergrund.
Aufführung:
Die Aufführung war für den 07. Juli 2011 geplant. Zwei Proben zuvor war die Kostümprobe. Durch die gelungene Auswahl der Kollegin, die ihren Kostümfundus mitgebracht hatte, konnte für jeden Beteiligten ein passendes Kostüm gefunden werden. Die Mädchen verwandelten sich in die Prinzessinnen, die Jungs in Grafen, die Trulle bekam ihren Filzhut und die Hexe entsprechend ihren schwarzen Umhang. Die Gänse wurden durch weiße Kappen mit gelben Schirmen und einem gelben Flaum am Handgelenk dargestellt.
Da die SchauspielerInnen alle mehrere Rollen spielen mussten, war ein rascher Kleiderwechsel nötig, der, nur etwas abseits vom Publikum, stattfand.
Das Bühnenbild bestand aus einem großen Vorhang, auf dem ein Schloss abgebildet war und einer einfachen Hütte (ebenfalls nur ein Bild).
Vier Stühle und eine Umhängetasche bildeten die schwere Last, die die Grafen zu tragen hatte. Eine Bank war die „Hütte“ der Hexe und zwei einfache Stühle dienten als Thron für das Königspaar.
Es war für alle faszinierend, dass diese auf ein Mindestmaß reduzierte Ausstattung, ähnlich wie beim ersten Tanztheater zum Thema Rechtsextremismus, eine unglaubliche Wirkung auf die Zuschauer ausübte. Hinzu kam noch die Beleuchtung und die eindringliche an die Szenen angepasste Musik.
Die Aufführung wurde eingeleitet vom Schulchor mit dem Märchenlied „Es war einmal… Danach begann übergangslos die Aufführung des Tanztheaters.
Die SchülerInnen waren bei der Premiere so in ihrem Element, dass sie spontan sogar einige Szenen um Kleinigkeiten ausweiteten. Diese kleinen Änderungen waren aber exakt auf den Moment abgestimmt.
Die Zuschauer begleiteten die Aufführung mit Begeisterung und einige mussten dann doch gegen Ende vor Rührung ihr Taschentuch zücken.
Fazit:
Das ganze Projekt war ein voller Erfolg. Es hat sich bestätigt und wieder gezeigt, wozu SchülerInnen und Menschen mit Behinderung in der Lage sind, wenn sie richtig angeleitet werden und ihnen die Chance eingeräumt wird, ihre Talente zu entwickeln.
Einige SchülerInnen konnten in diesen beiden Tanztheaterjahren einen unglaublichen Zuwachs an Selbstbewusstsein erfahren. Das machte sich in Äußerlichkeiten bemerkbar, aber auch im Unterricht durch vermehrte Beteiligung und wesentlich größerer Offenheit.
Erfahrungsbericht des betreuenden Lehrers:
„KultCrossing gemeinnützige GmbH hat einen großen Anteil an solch positiven Entwicklungen. Sie bietet durch eine große Vielfalt unterschiedlichster professioneller KünstlerInnen Schulen die Möglichkeit, entsprechend der Ideen und Bereitschaft der Schulen/LehrerInnen und der SchülerInnen Projekte anzubieten und durchzuführen. Meine Erfahrung ist, dass stets eine Ansprechpartnerin zur Verfügung stand und Hilfen und Ideen angeboten wurden. Die Möglichkeit, die Ergebnisse auch an exponierten Orten zu präsentieren, komplettiert das Angebot, das KultCrossing zur Verfügung stellt.
Voraussetzung ist natürlich, dass LehrerInnen bereit sind, solche Projekte zu betreuen. Der Spaß und der Lernzuwachs für die eigene Persönlichkeit, den man bei den SchülerInnen sieht, ist aber m. E. Grund genug, die zusätzliche Zeit dafür aufzuwenden.“, Peter Herzhoff.